ALLGEMEINES
Man ist sich auch in Fachkreisen nicht einig – ist das Tiergartenloch die größte Doline oder die größte Höhlenruine von Dachsteingebirge? Der Name ist auf jeden Fall eine ordentliche Untertreibung, denn einen kesselförmigen Abgrund mit 410 m Umfang und 12.600 Quadratmeter kann man eigentlich nicht als „Loch“ bezeichnen. Auch der Name „Tiergarten“ ist falsch und kommt von der Zeit, als die Dialektwörter von auswärtigem Geographen in Deutsch übersetzt wurden. Das „Tier“ hat ursprünglich „Dürr“ geheißen, also ein Gebiet, wo wenig wächst. In einer Höhenlage von 1400 m, noch dazu auf der Nordwestseite, gedeihen Pflanzen bekanntlich unter erschwerten Bedingungen. Der Name könnte aber auch mit der unterhalb befindlichen Ortsbezeichnung "Hohen Dürren" zusammen hängen.
Das Tiergartenloch ist sicherlich schon lange bekannt. Eine Sage berichtet von einem geheimen Gang, welcher ab dem Grund der Höhle „zu nie geschauten Herrlichkeiten“ führen soll. Einen Gang zwischen den gewaltigen Felstrümmern an der Sohle gibt es tatsächlich. Die mögliche Fortsetzung ist nach wenigen Metern Länge mit Eis verschlossen.
Bild 1: Das Tiergartenloch im Jahre 1875, fotografiert vom berühmten Dachsteinforscher Fr. Simony.
Bild 2: Die Aufnahme aus dem Jahre 2011 dokumentiert, dass sich in den 136 Jahren wenig verändert hat.
Lage und Zugang: Das Tiergartenloch befindet sich in 1480 m Seehöhe am oberen Ende der Martinswand bzw. den nordwestlichen Wandabstürzen vom Grünkogel. Von Hallstatt-Echerntal aus erreicht man in circa 3 Gehstunden die Tiergartenhütte. Diese ehemalige Schutzhütte in 1.468 m Seehöhe wurde ursprünglich 1907 erbaut und später erweitert. Die alten Namen waren Tiergartenbrunnhütte bzw. Thiergarten-Unterkunfthüttte. Das Schankrecht wurde 1966 aufgelassen und die unbewirtschaftete Hütte ist heute im Privatbesitz. Von Bedeutung ist nach wie vor die Trinkwasserquelle. Etwas oberhalb der Hütte zweigt vom Hauptweg ein Steig ab, welcher kurz darauf fast eben über lärchendurchsetzter Almboden (ehemals Dürrenalm), zum Abbruch in den Riesenkessel führt.
Erforschung: Schon Simony hat sich ausgiebig mit dem Tiergartenloch beschäftigt und dieses im Jahre 1875 fotografiert. Nach Meinung des berühmten Naturforschers handelt es sich um den Rest einer Höhle, dessen Decke eingestürzt ist.
Der berühmte Geologe Suess spricht ebenfalls um die Mitte des 19. Jahrhunderts von einem „dolinenartigen, kesselförmigen Einsturz“, während ein anderer Geologe mit dem Namen Cuivic etwa zur gleichen Zeit von einer „brunnenförmigen Doline“ spricht.
Norbert Krebs, ebenfalls ein hervorragender Gebietskenner, ist Anfang des 20. Jahrhunderts der Ansicht, dass es sich um einen „durch Verkarstung umgestalteten Gletscherkolk“ handle.
Der berühmte Forscher Friedrich Morton kommt zum gleichen Ergebnis wie Simony. Morton hat sich übrigens in den 27 m tiefen Abgrund abseilen lassen und wurde dann beim Aufziehen durch einen Stein am Kopf getroffen und verletzt.
Im Jahre 1975 bin ich zusammen mit Gerhard Mayr in den Kessel abgestiegen und wir haben neben der Erforschung auch die Vermessung durchgeführt.
Bild 1: Abstieg in das Tiergartenloch. An dieser Stelle beträgt die Wandhöhe nur 7 m.
Bild 2: Diese gewaltigen Felstrümmer dürften Teile der einstigen Höhlendecke sein.
Bild 3: Direkt an der westseitigen Kante bricht die überhängende Wand 27 m tief ab.
Beschreibung: Die gewaltigen Dimensionen lassen sich erst richtig feststellen, wenn man sich an die Sohle abgeseilt hat. Dies geschieht entweder direkt an der Zugangsstelle (- 27 m) oder man verfolgt an der Nordseite ein schmales, ausgesetzte Felsband bis zu dessen Ende, wobei dann der direkte Abstieg (Seil, Strickleiter) nur mehr 7 m beträgt.
Von drei Seiten ist das Tiergartenloch von bis zu 110 m hohen senkrechten und teilweise überhängenden Wänden umgeben, was diesen Ort vom Boden aus betrachtet einen düsteren Charakter verleiht. In südlicher und westlicher Richtung erstreckt sich der Kessel noch weit unter den Felsen hinein, was von oben bei der Absturzkante nicht sichtbar ist.
Die Sohle fällt von N nach S zu teilweise stark ab. Vor allem im mittleren Bereich liegen gewaltige Versturzblöcke und glaziale Schuttmassen. Zwischen den Felstrümmern existiert ein rund 8 m langer, abfallender Gang. Dieser ist zuletzt mit einem Eispfropfen verschlossen und war vermutlich ein Wasserablauf. Eine leichte Wetterführung ist vorhanden. Es sei darauf hingewiesen, dass sich schräg unterhalb die über 113 km lange Hirlatzhöhle erstreckt!
Infolge der exponierten Lage kommt es hier durch die Temperaturunterschiede zu extremen Verhältnissen. Der nördlichste und höchstgelegener Teil wird zeitweise von der Sonne beschienen und ist relativ warm. Am südlichsten und tiefst gelegenen Punkt gibt es dagegen Dauerfrost.
Der größte Durchmesser von NNO nach SSW beträgt 140 m, der kleinste von Ost nach West 105 m. Die ehemalige Höhlendecke befand sich vermutlich circa 25 m über den derzeit höchsten Punkt der Sohle. Der Höhenunterschied von NO nach SW beträgt 32 – 35 m.
Entstehungstheorie: Aufgrund meiner eingehenden Untersuchungen und Beobachtungen als Höhlenforscher möchte ich hier meine Entstehungstheorie zur Diskussion stellen:
1. Entwicklung eines Hohlraumes: Diese gehört zur ersten und damit zur ältesten Entstehungsphase der Höhlenbildung im Dachsteingebirge.
2. Abtragen der Höhlendecke: In der zweiten Entwicklungsphase verlagerte sich das Wasser in tiefere Horizonte. In der Höhle kommt es zu Veränderungen und gleichzeitig beginnt an der Oberfläche die erosionsbedingte Gesteinsabtragung.
3. Zusammenbruch der Höhlendecke: Der Einsturz der 5 bis 8 m starken Höhlendecke erfolgt noch vor Beginn der Glazialzeiten. Das Resultat ist eine Höhlenruine.
4. Umgestaltung der Höhlenruine: Noch vor 10.000 Jahren war das Tiergartenloch vom Gletscher der letzten Eiszeit (Würm) angefüllt. Entsprechende Veränderung durch die Eismassen wird es natürlich auch in den vorherigen Eiszeiten gegeben haben. Die Spuren dieser Umgestaltung sind gut an der SW-Seite der Innenwände zu sehen.
5. Der Wasserbehälter: Während der Rückzugstadien der Eiszeiten ist der Kessel längere Zeit mit Wasser gefüllt. Der Abfluss ging wahrscheinlich zum Waldbachursprung.
6. Heutiger Zustand: Fortschreitende Erosion und ein Herauslösen von Schichtpaketen im Dachsteinkalk bedingen den weiteren Verfall.
Zoologische und botanische Besonderheiten: Infolge der klimatischen Verhältnisse ist auf der Nordseite eine üppige Vegetation angesiedelt. Es handelt sich dabei durchwegs um feuchtigkeitsliebende Pflanzen sowie einen Hollunderstrauch. Morton hat im Jahre 1926 auch den seltenen Frauenschuh gefunden. Gegen die Tiefe nimmt die Vegetation jäh ab.
Basisdaten: Kat. Nr. 1543/003, Seehöhe 1505 m, Sohlenumfang 415 m, Höhenunterschied - 35 m, Skizze: Leutner, 1975, Plan: Fritsch, 1977.
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Die Tiergartenhöhle
Unterhalb des Tiergartenloch existiert in 1455 m Höhe eine weiteres Karstobjekt mit den Namen Tiergartenhöhle (Kat. Nr. 1543/4 a, b). Diese 105 m lange, fast ebene Höhle wird sehr selten betreten, weil die beiden Eingänge in der senkrechten Martinswand liegen. Am besten sieht man den östlichen Eingang von der Tiergartenhütte aus. Das Portal befindet sich in der gleichen Höhe. Interessant ist in der Höhle das Vorkommen von Quarzen. Diese „Augensteine“ sind Reste von einer ursprünglich riesigen Anhäufung im gesamten Dachsteinplateau. Bemerkenswert ist auch die reiche Flora bis weit in die Höhle hinein.
Bild 1: Die Tiergartenhütte in 1.457 m Höhe war lange Zeit der Stützpunkt für die Dachstein-Alpinisten.
Bild 2: Die 105 m lange Tiergartenhöhle hat zwei Eingänge und befinden sich in der Martinswand.
Bild 3: Um den Eingang A in 15 m Wandhöhe zu erreichen, benötigt man eine mindestens 8 m Leiter.
Der Zugang erfolgt genau wie beim Tiergartenloch bis zur Tiergartenhütte. Kurz vor der Hütte quert man nach rechts bis zum Wandfuss der Martinswand. Auf einer schmalen Rampe kann man bis direkt unter das östliche Wandportal gehen. In 15 m Wandhöhe ist das 11 m breite und 5 m hohe Portal sichtbar. Um hinauf zu kommen, verwendet man am besten zwei Steckleitern von je 4 m Länge. Nach etwa 10 m Wandhöhe sind die restlichen Meter bis zum Höhleneingang mit Vorsicht frei kletterbar.
Die Tiergartenhöhle wurde offiziell erstmals im Jahre 1926 durch Friedrich Morton genau beschrieben. Doch schon 1927 hat der damalige Besitzer Eder der Tiergartenhütte einen Leiternzustieg montiert. Dieser wurde etwas später wieder abgebaut. Im Jahre 1976 wurde das Karstobjekt von Erhard Fritsch, Alois Wimmer und Franz Wimmer vermessen.
Vom halbhöhlenartigen Osteingang führt ein 18 m langer, sehr niederer Gang waagrecht in westliche Richtung. In der folgenden mannshohen „Augensteinkapelle“ findet man an der Sohle kleine Quarze. Nun folgt der schön entwickelte, fast 50 m lange „Tiergartenbachlauf“, welcher zur „Ederkapelle“ führt. Kurz darauf steht man beim halbhöhlenartigen Westeingang. Hier kann noch mitten in der Wand eine Rampe verfolgt werden. Der direkte Zustieg von unten durch die senkrechten Felsen würde ungefähr 50 m betragen.
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Historisches:
Bevor die Tiergartenhütte im Jahre 1907 erbaut wurde, befand sich beim ständig rinnenden "Thiergartenbrunnen" ein Getränkedepot. Gedacht für die Bergsteiger, welchen diesen Platz ´nach dreistündigen Aufstieg von Hallstatt erreichten.
Von diesen in 1.468 m hoch gelegenen alpinen Stützpunkt waren es nochmals 5 Stunden Gehzeit bis zum Gipfel des Hohen Dachstein (2995 m).
Die Tiergartenhütte wechselte mehrmals den Besitzer und wurde einige Male umgebaut bzw. erweitert.
Mit der Bau des Wiesberghauses (1872 m) im Jahre 1923 bis 1927 und fünfzig Jahre später der Simonyhütte verlor die "Tiergartenhütte" an Bedeutung.
Die Naturskiabfahrt vom Wiesberhaus führt direkt an der Hütte vorbei. Bei schneereichen Winter kann es passieren, dass man das Gebäude "übersieht" und unabsichtlich über das Dach springt.
Das Foto von Dr. Karl Kaser stammt ungefähr aus dem Jahre 1910.
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